AccueilMiyabiQui sommes-nous?Pour mieux comprendre: nos textes, conférences,...Agenda de nos activitésFormation en 5 ans + 2 ansNotre livre Penser l’existence"Japon, de la Rencontre..."Workshop Art & ConsciousnessPath-Art-PhilosophySéminaire « Être et Temps », Dévoilement du SoiSéminaire d'Eté de Phénoménologie En 2019 Penser l'espace - VeniseSéminaire Clinique St-JeanSoirée lectureForum de questions et de réflexionsIn EnglishIn het NederlandsBibliographieLiensVII International Forum in Brussels 2009e-mail us
|
3.6.c:„Intimität und Offenheit", ein besonderes Verständnis des Da-seins anhand der Verflechtung von Heideggers Gedankenwelt und eines Lebensereignisses wie die Indienreise von Medard Boss.
Übersetzung
: Frau Salome Hangartner
Ort & Datum :
Universität Wien, 17. Januar 2014
Thema :
„Intimität und Offenheit", ein besonderes
Verständnis des Da-seins anhand der
Verflechtung von Heideggers Gedankenwelt und eines Lebensereignisses wie die
Indienreise von Medard Boss.
Im vergangenen August war ich bei einer Kremation in Pashupatinah
zugegen. Ein sehr eindrückliches Erlebnis, das mich an die Indien-Reise von
Medard Boss und Heideggers „Sein zum Tode” erinnerte. Daseinsanalytiker zu werden
beinhaltet mehr als die entsprechende Ausbildung oder Wissen, nämlich eine
tiefgehende Erfahrung der Existentialia. Aus diesem Blickwinkel wollen wir zwei
Schlüsselbegriffe der Psychotherapie betrachten: Intimität und Offenheit.
Schlüsselworte :
Gefahr des
Gestells, Technologie und extreme Rationalisierung – Aufenthalt und das Geviert
– Aufruf zu denken, was gedenkt werden muss: die dreifache existentiale
Besorgnis um das „Sein - Seiende - Nichts” potentialisiert (verstärkt) durch Transzendenz – Daseinsanalysis: ein nie
endender Weg zu Aletheia als Unverborgenheit (Richtigkeit-correctness ó Übereinstimmung-agreement ó Entdecktheit-discovery ó Unverborgenheit-unconcealment ó Erschlossenheit-disclosedness ó Lichtung-clearing). Daseinsanalyse
und Dialog.
Vortrag :
„Zeitlichkeit und Psychotherapie” wird heute zur entscheidenden Frage.
Was in den dreissiger Jahren entstand, entwickelt sich immer noch weiter und
infiltriert still und leise unsere Glaubens- und Seinsformen. Was Husserl, Heidegger,
Arendt, Patočka in unserem Bewusstsein zu erwecken suchten, ist in
unserer Gesellschaft lebendiger denn je, gleichzeitig aber auch versteckter als
je zuvor durch die Kraft der Unterhaltung und die Illusion des Wohlbefindens
(Wellness).
In seinem letzten Buch: „Die Krise der europäischen Wissenschaft und die
transzendentale Phänomenologie“, 1935 geschrieben, beleuchtet Husserl die
wissenschaftlichen Exzesse, deren Positivismus und Objektivismus die Natur
mathematisieren – den Menschen mit eingeschlossen – um sie zu einem abstrakten „Objekt”
zu machen, das von universellen Gesetzen gesteuert wird, und das von der
sensiblen und individuellen Mannigfaltigkeit getrennt ist. Er kritisiert den
Abgrund, der die wissenschaftliche Forschung von einem metaphysischen Ansatz
trennt, was auch die Krise der menschlichen Werte mit einschliesst. Er war auch
imstande, die Katastrophe des deutschen politischen Anspruchs vorauszusehen,
der – in den Worten von Hannah Arendt – „einen Abgrund öffnen würde. Dort
geschah etwas, mit dem wir uns nicht versöhnen können.”
Heidegger hört nie auf, uns vor der dauernd fortschreitenden Technik zu
warnen, die in all unser Tun hineingreift, wobei er dachte, dies sei eine
derart alles durchdringende Haltung, dass der Mensch die „Einschliessung“ im
Gestell, die Gefahr des Bereichs berechenbarer und manipulierbarer Wesenheiten,
die uns vom Wesentlichen entfernen, nicht einmal mehr spürt: „Das Dasein
existiert als ein Seiendes, dem es in seinem Sein um dieses selbst geht.”
Bitte, verstehen Sie Heideggers Kritik nicht falsch. Es handelt sich dabei
nicht um eine Kritik eines besonderen Aspekts der Technik. Wonach er sucht, ist
der Gedanke, dass das Wesentliche der Technik zu verstehen ist als etwas, das
zum Hervorbringen gehört ..., als schicksalhaftes Offenlegen ... und das sich als Gestell offenbart.”
Die grösste Gefahr dieses Gestells ist, dass der Mensch selbst, insofern als
alles in das Gestell der Wissenschaft eingefügt wird, zu einem Teil des Puzzles
wird und „als Bestandteil, als verfügbares Hilfsmittel oder Ausführender dazu
gehört.”
Die Gefahr dabei ist, dass unsere Art des Mitseins mit der Natur als Herr und
Herrscher gesehen wird, wobei die Natur als „stehende Reserve“ gesehen wird,
und so wie wir die Technik anwenden und missbrauchen und die Erde verarmen
lassen, blockiert dies andere Weisen des Erschliessens, und verschliesst uns so
den Zugang zu allem anderen, was die Dinge auch sind, den Zugang zu uns selbst,
wodurch wir mit unserem eigenen, ureigensten Wesen in eine falsche Beziehung
treten.
In Anlehnung an Heidegger unterstreicht Patočka
dass die Wissenschaft als Bereich der Rationalität unser Verständnis der Welt
beeinflusst, die wir als eine Ansammlung von Dingen sehen, und wir glauben,
einen Ausweg aus der Krise zu finden, indem wir „immer neue Technologien
entwickeln”. Die Wurzel des Übels ist nicht gesellschaftlicher oder politischer,
sondern zivilisatorischer Art. Unsere Zivilisation schafft die wesentliche
Verbindung zum Sein, zur Transzendenz ab, wodurch die Seele des Menschen in
Gefahr gerät, die Seele, die vom Philosophen als ethisches Prinzip, als Sorge
um die Welt und die Wahrheit verstanden wird. Patočka nennt dies eine
Superzivilisation, die zur „Objektivierung, Automatisierung und
Rationalisierung der Gesellschaft“ führt, denn dieser Durchbruch ereignete sich
zum ersten Mal im Westen und breitete sich dann über die ganze Welt aus. Keine
Alternative mehr. Was die Welt bewegt, ist ein zunehmender Wille zur Macht, des
Beherrschens, der
Ausbeutung der Natur, der alle Seienden in Ware verwandelt und den
Menschen in einen Sklaven des Konsums.
Unsere Einstellung den Dingen gegenüber kehrte das frühere Gefühl der
offenen „Gänze“ vollständig um und transzendiert die Teile zu etwas Neuem, was
vom tschechischen Denker als ein reines Nebeneinander von Teilen gesehen wird,
das geschlossen ist und die Offenheit ausschliesst.
Mehr den je bestimmen materielle Bedingungen unser Wohlbefinden und
werden zum Kern der Besorgnis unserer Gesellschaft während spirituelle
Überlegungen über das Sein oder Infragestellungen des Seins in die persönliche
Sphäre verwiesen werden oder sie werden, noch radikaler, gesehen als „reine
Ausflüchte, die man irgendwie braucht, aber mit denen man sich nicht allzu
intensiv befassen sollte, denn das wäre Philosophie”.
Wie können wir uns die Zukunft der Daseinsanalyse in dieser Zeit der
Verwüstung vorstellen?
Daseinsanalyse ist nicht nur eine Therapieform unter anderen. Sie
verlangt von uns, genauso wie von den Pionieren – Binswanger, Boss, Condrau – ein
eigenartiges Gefühl, dass uns etwas fehlt, dass das, was wir gelernt haben,
dieses vielversprechende wissenschaftliche System von Ursachen und
Instrumenten, uns in die Irre führt und allzu oft hilflos erscheint in Bezug
auf psychische Störungen und menschliches Leid. Nicht nur der Patient, sondern
auch wir Therapeuten warten auf etwas ... das noch nicht fassbar ist. Binswanger
fand es in der Lektüre von „Sein und Zeit“. Boss war über vierzig Jahre alt,
als er Heidegger entdeckte und in seinen Fünfzigern, als er in einer anderen
Kultur – Indien – „wohnte“ und er erinnert sich, angeregt durch die Antwort
eines Astronomen, wie Jung und Freud Heraklits These der Identität der
Gegensätze folgten. Er ging nach Indien, weil „es für ihn wichtig war, die
geistigen Grundlagen der Psychologie und der Medizin zu stärken und seine
Kenntnisse des Menschen auszuloten und zu stärken. Es war für ihn entscheidend
wichtig, bessere und richtigere Ideen darüber zu entdecken, was der Mensch von
Natur aus und was seine Bestimmung ist. Keine Medizin, und noch weniger eine
Seelenmedizin, kommt ohne Philosophie aus.”
Seit Plato und Aristoteles hat das Prinzip des Nicht-Widerspruchs unser
westliches Denken verarmt. Wir werden immer mehr umnachtet durch die
Vorherrschaft des abgedroschenen Logos, logoV - Verstand hin zu einem kitschigen muqoV.
Kein Raum mehr für Fantasie, Kreativität, Offenheit in
der Forschung. Alles muss in einem wissenschaftlichen Rahmen validiert und als
ein ins statistische Verständnis eingebettetes Objekt reifiziert (vergegenständlicht) werden. Unsere Fähigkeit, Seienden
gegenüber offen zu sein durch „den Sprung ins Sein“
wird unvermeidlich abgestumpft. Wir haben die echte Beziehung zum Wesen der
Wissenschaft verloren, die im Fragwürdigen verbleiben muss. Im Fragen liegt der
stürmische Fortschritt, der ‚Ja‘ sagt zu dem, was noch nicht gemeistert wird
und der sich weitet, hinaus in denkwürdige, noch unerforschte Bereiche.
Was hier herrscht, ist etwas, das sich selbst übertrifft, hinaus in
etwas über uns.” Denn
die Wissenschaft lässt sich nicht von der Philosophie trennen; beide müssen
erneut die Frage nach der Dinglichkeit stellen. Wenn das Ding, über das wir
nachdenken wollen, der Mensch ist – was die Psychotherapie verlangt – dann
erfordert unsere Position mehr denn je, dass wir in Demut „bei dem
Erscheinenden verweilen“.
Wohnen, verweilen, gehört zum Wesentlichen der Psychotherapie. Doch was
bedeutet wohnen? „Zu wohnen, zufrieden zu sein bedeutet innerhalb des Freien,
des Bewahrten, des freien Raumes, der jedes Ding im Wesen bewahrt, in Frieden
zu verweilen.” Durch
das Wohnen, das da-sein, offen stehen für Offenheit impliziert, stimmt sich der
Mensch auf seine eigene Entfaltung-Erschliessung ein und durch dieses
„als-Mensch-in-der-Welt-sein“ verbleibt er im Geviert, oder besser noch, gemäss
Heidegger: „Eins der vier.“ Es ist nicht leicht zu verstehen, was zu überdenken
uns Heidegger einlädt und es ausserdem als entscheidende Frage für einen
Therapeuten zu begreifen. Tatsächlich wird sich der Mensch durch das Wohnen,
durch die gegenseitige Resonanz bewusst, dass er als Sterblicher auf dieser
Erde lebt, doch gleichzeitig auch unter dem Himmel, dem Reich des Göttlichen.
Über das Prinzip des Nicht-Widersprüchlichen hinaus, indem wir den östlichen
Gedanken der Harmonisierung ausdehnen, indem wir in der Welt wohnen, werden wir
zum Garanten dieser grundlegenden Spannung zwischen Himmel und Erde,
Sterblichen und Göttern, aus der ein „Zwischen“ hervorgeht, die authentischen
Aufenthaltsorte der Menschen.
Dies scheint uns allen sehr theoretisch, an der Grenze des
Verständlichen, doch es scheint offensichtlich, wenn man es erleben kann, so
wie Boss auf seiner Indienreise.
Es war auf dem Weg … als Mitreisender, dass Boss wirklich einem
indischen Meister begegnen konnte. Er schloss sich ihm an auf der Strasse zum
Kloster Durga, der Göttin der Zerstörung, auf dem Lande, wo er ein paar Tage
mit ihm wohnte. „Wenn jemand wirklich seinen Mitmenschen helfen will, sich
wirklich um sie sorgt, so muss er zuerst darüber nachdenken, was ein Mensch in
seinem eigentlichen Wesen ist, wie er ist und weshalb er existiert. ”
Er wohnt auch in einer Höhle in der Nähe/Ferne eines Einsiedlers. All diese
Erfahrungen erschliessen Zeit und Raum, so dass sie zum eigentlichen orismoV, dem Horizont werden, wo der Mensch zum Menschen wird,
Da-sein.

Im vergangenen August brachte ich einen 22-jährigen Patienten, einen
Studenten, nach Nepal ind er Hoffnung, ein kultureller Durchbruch könnte seinen
Geist öffnen. Das Ergebnis überstieg meine wildesten Träume. Eines Tages
besuchten wir den Hindutempel von Pashupatinah, ein unglaublicher Ort zwischen
Himmel und Erde, Sterblichen und Göttern.
Am Ufer lag ein Leichnam, in ein Leichentuch gewickelt, barfuss, auf dem
Rücken. Während fünfundvierzig Minuten konnten wir an einem der intimsten
Rituale teilnehmen, bei dem ein Leib zu Asche wurde, ein erstaunlicher
Augenblick, bei dem ich das „Sein-zum-Tode“, meine eigene Endlichkeit höchst
intensiv erlebte. “ Der Verstorbene,
im Unterschied zum Gestorbenen, ist
von den Hinterbliebenen weggerissen worden und ist das Objekt ihrer „Sorge“ bei
den Begräbnisritualen. ... In diesem Mit-dem-Toten-sein ist der Verstorbene
nicht mehr tatsächlich anwesend. Doch wenn wir von „Mitsein“ sprechen, stellen
wir uns immer ein Miteinander-in-der-gleichen-Welt-sein vor.”
Ja, tatsächlich. Obschon wir Fremde, Ausländer waren, konnten wir irgendwie die
„Stimmung” teilen, so dass die
Erschlossenheit geschieht … „Die Erschlossenheit des Seins kontrastiert mit der
Entdeckung der Seienden.”

In Nepal mussten wir dem Toten
in seiner Einfachheit entgegentreten. Während der ganzen Dauer der Rituale
herrschte ein alles durchdringendes Gefühl der „Vergangenheit”, des Vergangenseins, und ein seltsames Gefühl des
Zusammengehörens und der Gewesenheit,
des Gewesenseins, vergangenen Lebens. Irgendwie erleben wir das „Geviert”, die gegenseitige Resonanz der
Erde, des Himmels, der Sterblichen und der Göttlichen, ein Zusammenfinden wie
in einer „Fuge”, die Anwesenheiten
und Abwesenheiten in einer Bewegung, einem Sonatensatz zusammenfügt, ein
Ereignis, das „die Beziehungen der Götter mit den Menschen zusammenfügt und die
Beziehung zum Heiligen schafft.”
Mit Sicherheit ruft uns dieses unerwartete Erlebnis
– wie viele Dinge – auf, „darüber nachzudenken, uns ihm im Denken zuzuwenden:
es zu denken.”
Was soll gedacht werden? Gerade das, was weniger gedacht wird, die
Verflechtungen von Seienden mit dem Sein. Das Sein selbst als das aneignende
Ereignis und dass „Dasein als Seiendes existiert für das in seinem Sein das
Sein selbst ein Thema ist,“ und dass dieses Thema einer der Ecksteine der
Daseinsanalyse ist. Denn es muss geleibt werden. Was soll gedacht werden? Das
Denken selbst! Echtes Denken ist kontemplativ; es lässt die Dinge sein und
sucht nicht danach, was wir mit ihnen tun können, wie wir sie willentlich
benutzen können. Was soll gedacht werden? Die unvermeidliche Gegenwart des
Nichts. Wie Aristoteles es für das Sein gezeigt hat, müssen wir uns um die
verschiedenen Bedeutungen und Ebenen des „Nichts“ sorgen.
“Da-sein bedeutet: ins Nichts
hinaus gehalten werden … Indem es sich selbst hinaus ins Nichts hält, ist Dasein je bereits jenseits der Seienden
als Ganzes. Dieses jenseits-der-Seienden-sein nennen wir Transzendenz.”
„Da” könnte dieses „Zwischen“
bezeichnen, das gespannt ist durch das grundlegende Zusammenspiel von „Sein“ –
„Seiende“ – „Nichts-Nihilisierung“, potentialisiert durch Transzendenz, was
nicht mit Nihilismus verwechselt werden darf. Es verursacht ziemliche
Angstzustände, in diesem „Zwischen“ zu wohnen; in den meisten Fällen entflieht
der Mensch in die normalen Formen des Alltagslebens, was Heidegger die
„Verfallung“ nennt, er verfällt. Es ist noch viel beängstigender, dass der
Mensch unter einem Mangel an Transzendenz leidet, dem Gefühl, im Stande zu
sein, über die Faktizität (feststellbare Wirklichkeit) hinaus zu gehen, wie
hart auch immer die Gegebenheit sein mag.
So lange man sich diesem Nachdenken verweigert, zieht man sich zurück –
die jeweilige Wahrnehmung der Welt – von
der „Unverborgenheit“ die in jeder „Wahrheits“-bestimmung vorausgesetzt wird.
„Nur dort, wo Unverborgenheit bereits vorherrscht, kann etwas aussprechbar,
sichtbar, zeigbar, wahrnehmbar werden.”
Wir können unser In-der-Welt-sein nicht „verstehen“, wenn wir nicht auf diese
dreifache „Offenheit“ als alhqeia eingestimmt sind. Die erste ist die Unverdecktheit, die Entdecktheit der Seienden. Wir können
ein Seiendes sehen, verstehen, brauchen, weil es unverborgen ist. Das ist ein
ontisches Manifestieren ... das gemäss einem stimmungsmässigen und instinktiven
Sich-selbst-finden mitten unter Seienden geschieht.”
Dieses alltägliche sich befassen mit innerweltlichen Seienden ist die primäre,
und oft die einzige, Methode, die Welt zu ent-decken. Der weitere Schritt ist
die Unverborgenheit des Seins. Tatsächlich gründet die ontische Wahrheit in der
ontologischen. Die Unverborgenheit des Seins impliziert die Erschlossenheit des
Daseins, das sich gemäss Heidegger durch Befindlichkeit, Verstehen und Rede
konstituiert, und gleichursprünglich zur Welt gehört, zum In-sein, und zum
Selbst.” So
lange wir ein Seiendes in dem einrahmen, wozu es nützlich sein oder in unsere
eigene Perspektive passen könnte, öffnen wir uns nicht für das Wesentliche
dieses Seienden, das sich auf das Sein dieses Seienden und das Sein an sich
bezieht. Die Erschlossenheit des Seins besteht darin, dass wir der Welt
gegenüber auf bestimmte Weise befindlich sind. Von „Sein und Zeit ” bis „Der
Ursprung des Kunstwerkes” überdenkt Heidegger den Raum, so dass das
Werkzeug nicht mehr nur ein nützlicher Gegenstand ist. Dienlichkeit und
Nützlichkeit sind jetzt in einen grösseren Kontext der Verläßlichkeit eingebracht (was die reine Dienlichkeit übertrifft,
indem es zu einer Beziehung zum Unbekannten tendiert). Heidegger nennt diese
neue Perspektive in der Welt „Erde”, der Schlüssel zu einem Strahlendenken,
eine exzessive und grundlose Phänomenalität, ein Erscheinen, das nicht mehr an
eine Trägersubstanz gebunden ist.
Es ist Zeit, zum dritten Sichentfalten zu springen,
zur grundlegendsten und enigmatischen – ja sogar esoterischen – Form der
Unverborgenheit, die durch die „Lichtung”
gewährt wird.
Es wäre grossartig, wenn ich Ihnen den ganzen Text des „Welche Aufgabe
dem Denken am Ende der Philosophie vorbehalten bleibt“ vorlesen könnte – einer
der schwierigsten, grundlegendsten Texte
Heideggers, ein
Text, der als gemeinsamer Pfad zum Denken verstanden wird. Es könnte ja
wesentlich sein, Zeit für die „Gelassenheit”
zu öffnen, „Dinge sein zu lassen”, „Gleichmut den Dingen gegenüber”, „Offenheit
dem Mysterium gegenüber“, das in der technischen Welt verborgen ist; Zeit, sich
von der Vorherrschaft rechnerischen Denkens loszureissen. Ist es möglich, der
Lichtung ohne Selbsterschlossenheit näher zu kommen?
Der Heideggersche Weg bleibt ein Pfad des „Seins“ und des „Denkens“, der
jeden Horizont der Verständlichkeit aufgräbt. Was vorgebracht werden muss, ist
der „Ort“ wo der Gedanke „Sein“ denken kann, ein Übergang vom spekulativen
Denken zum Weg des Denkens. Dieser Ort ist kein geographischer Ort und wird
gelebt als „Offenheit, die Mögliches erscheinen lässt und „Lichtung“ zeigt, ein
„freier Raum, eine freie Lichtung, was das Denken als Urphänomen ist, als prima
mater (Ursache).”
Lichtung hat nichts mit Licht zu tun, obschon „Licht in die
Lichtung, in deren Offenheit strömen kann und die Helligkeit mit der Dunkelheit
darin spielen lässt … Licht schafft nie zuerst die Lichtung. Doch dieser offene
Bereich ist frei für Helligkeit und Dunkelheit, für Resonanz und Echo, für
Klang und verhallenden Klang.”
Könnten wir vielleicht behaupten, dass dieser Ort zur Meditation, dem
meditativen Menschen gehört? Ein Ort als Im-Zwischen, wo Unverborgenheit
möglich wird, „ein Ort der Stille, der in sich selbst sammelt, was zuerst
Unverborgenheit beschert ... Das stille Herz der Lichtung ist der Ort der
Stille aus dem alleine sich die Möglichkeit des Zusammengehörens von Sein und
Denken ergibt, das heisst, es überhaupt zu Gegenwart und Erfassen kommen kann.”
Was ich damit untermauern möchte, ist, dass der Heideggersche Weg des
Denkens über „Sein und Zeit“ hinaus die Grundlagen des Menschseins derart tief
ergründet, dass der eingeweihte Therapeut eine gewandelte Perspektive erlebt,
die sein Verständnis der Psychotherapie oder Medizin grundlegend verändert. Um Daseinsanalytiker zu werden, ist nicht
nur eine neue Ausbildung erforderlich, die einem neue Instrumente oder Konzepte
vermittelt, sondern auch eine neue Grundlage für den allgemeinen Hintergrund
(Medizin, Psychologie, ...). Wenn Medard Boss schreibt: „In Heideggers Daseinsanalytik bezieht sich das Wohnen auf die menschliche
Existenz als Wohnen-in-der-Welt, was etwas ganz anderes ist als eine materielle
Anwesenheit. Es ist vielmehr des Menschen ek-statisches Verweilen, sein
Existieren in der Offenheit eines gelichteten irdischen Bereichs.”,
es ist mehr als ein Anspruch; der Mensch teilt einen der Schritte, der ihn dazu
bringt zu verstehen, dass jede organische Krankheit das In-der-Welt-sein des
Patienten schwächen kann, oder dass „die traditionellen somato- und
psychopathologischen Erklärungen keinen Zugang zur menschlichen Existenz als
Bereich der Welt-Offenheit erhalten können.”
Die Begegnung mit Heidegger oder seine Indienreise verändern das Leben
von Medard Boss, seine Denk- und Arbeitsweise und sein Verständnis. Jene
existentiellen Ereignisse sind entscheidend wichtig für die Menschen, die durch
die Daseinsanalyse leiben wollen.
Was ich entfalten möchte, ist dass die Daseinsanalyse als Psychotherapie
bedeutet, dass man das Leben erfährt, dass man denkt, dass man auf einem nie
endenden Weg zur alhqeia als Unverborgenheit geht, was eine Verflechtung von Jemeinigkeit
und Miteinandersein bedeutet, von Stille
und Gesprächen, von einer Konstitution des Sinns und epoch, von Licht und Dunkelheit. Man kann es nicht als irgend einer tun, ein „Bossianer“ oder Binswangerianer
werden; es gibt keine Methode, es zu tun. Jeder Daseinsanalytiker eröffnet
einen einzigartigen, dynamischen und historischen Therapiehorizont wo eine
„Begegnung“ möglich ist. Heute, 35 Jahre nach meiner ersten Lektüre von Sein und Zeit, stellt meine Praxis jenes grundlegende, existentielle
Wechselspiel der Menschheit von „Sein“ – „Seienden“ – „Nichts-Nihilation“ potentialisiert durch Transzendenz in Frage.
Transzendenz ist unsere Fähigkeit, über das, was uns gegeben wird hinaus zu
gehen, als Substantialiät, die uns von dem, was wir sind, entfernt,
insbesondere dem, das wir nicht sind zu dem, was wir sein müssen. Die
Transzendenz reisst uns aus dem Alltagsleben weg, um uns ins Unbekannte zu
werfen, ins „Wo“ der Ermöglichung. Durch
die Transzendenz, die eine Resonanz mit dem Geviert
beinhaltet, harmonisiert das Da-sein diese dreifache, unvermeidbare Sorge. In
Französisch nenne ich diesen offenen Lebensstil „l’entre-trois existential” was
sich nicht ins Englische übersetzen lässt (Deutsch vielleicht: „das existentiale
zwischen dreien“). Ein Verlust des Gleichgewichts schliesst den Menschen in
einem von den dreien ein, wodurch Leiden entsteht und eine veränderte Beziehung
unseres In-der-Welt-seins. Zum Beispiel: Käuflichkeit (Seiende), Mystik (Sein)
oder Nihilismus, Depression (Nichts-Nihilierung). Heute verstehe ich die
Daseinsanalyse als einen Ort, einen freien Raum, wo der Patient durch eine
Begegnung und einen echten Dialog,
diese dreifache Sorge, sein Leben ins Gleichgewicht bringen kann. Durch die
richtige Frage, die erschliesst, offenlegt, kommt der Dialog von selbst in
Gang, er gewinnt Autonomie. Das Gespräch ist eine Art des Mit-seins, des
Miteinander-seins, die vollständig anders ist, als der Dialog, der durch reine
Kommunikation erstellt wird. Das Fragen zielt auf keine Information ab. Statt dessen stellt die Frage den Befragten selbst in Frage.
Der Fragende und der Befragte gehört zu einer Gemeinsamkeit aus der heraus die
Frage gestellt wird. Dieses innerste intime Wechselspiel von Fragen und
Antworten erfordert Stille, Offenheit, Zuhören, Verständnis, Gestimmtheit. Der
Dialog ist der Zeuge des Miteinander-seins, er nimmt teil an der Erschlossenheit des Da-seins, Erschlossenheit,
„die der ontologische Terminus ist für das Gelichtet- und Geklärtsein des
Daseins in sich selbst ... eine grundlegende Offenheit.”
Die Wirkung von Heideggers Denken auf die Psychotherapie – jedenfalls
für jene, die sich in die Gedanken des Philosophen vertiefen – ist derart
abgründig, dass ein Leben nicht ausreicht, dessen Reichtum zu erforschen. In
dieser Zeit des Zerfalls und der Verzweiflung ist Heideggers Weg nötiger denn
je, und dies umso mehr als unsere Zeit die Frage des Seins nicht mehr stellt
und die Menschheit in den Illusionen der Seienden ohne jedes Gleichgewicht lässt.
Wir müssen beide Seiten des modernen Denkens betrachten – auf der einen
Seite die konkrete, affektive Seite des empfundenen Erlebens, eine prälogische,
präkonzeptuelle Erfahrung, und andererseits die andere: Pragmatismus,
Positivismus, logische und empirische Anforderungen der Wissenschaft und des
Sinns – ohne sie notwendigerweise als Gegensätze einander gegenüber zu stellen,
sondern zu versuchen, sie zu harmonisieren, um eine Art von „transzendentalem
Gedritt-Zwischen“ hervorzubringen.
Es war der Zweck dieses Vortrags, die Tiefe der Wirkung von Heideggers
Denken zu entfalten, und auf dem Weg kann der Therapeut den Kern, das
Wesentliche seiner Praxis verstehen. Da-sein als In-der-Welt-sein lässt sich
nicht auf ein Konzept, eine Formel oder einen Slogan reduzieren. Man muss
darüber nachdenken, was „Raum ”
bedeutet, man muss diesen Raum spüren, was einen Bereich öffnet, um Leiber
willkommen zu heissen,
spüren, dass eine Grenze ‚nicht nur Umriss und Rahmen ist, nicht nur das, womit
etwas aufhört. Grenze bedeutet, dass etwas in seine Eigenständigkeit gesammelt
wird, um aus sich heraus in seiner Fülle herauszutreten, um in die Anwesenheit
hervorzutreten. Die Grenze gibt das Ding endlos an die Welt.”
Wenn man die „Grenze“ als „Ende“ versteht, eröffnet man nicht die gleichen
Möglichkeiten wie wenn man sie als Beginn versteht. Durch diese „enigmatische
Beziehung treten wir ein in die Welt, in den Raum, die Erde, ein Bildwerk, dass
man fühlt, dass etwas als Nahesein
oder Intimität geschieht, trotz des „anders-seins“, etwas wie „Leiblichkeit”, Leiblichkeit trotz
Anwesenheit von Körpern, etwas wie „eine Begegnung“, trotz der Notwendigkeit
einer Diagnose und herkömmlicher Behandlungm die statistische Ergebnisse
hervorbringen.
Auf dem Weg mit Heidegger erwarten wir nicht, dass jeder Therapeut ein
Philosoph wird, doch sollte er zumindest versuchen, über seine
wissenschaftliche Ausbildung nachzudenken, damit er „die technische Konstruktion
des Menschen als Maschine“ entwirren (enträtseln) kann.”
3.6.c:„Intimität und Offenheit", ein besonderes Verständnis des Da-seins anhand der Verflechtung von Heideggers Gedankenwelt und eines Lebensereignisses wie die Indienreise von Medard Boss.
Übersetzung
: Frau Salome Hangartner
Ort & Datum :
Universität Wien, 17. Januar 2014
Thema :
„Intimität und Offenheit", ein besonderes
Verständnis des Da-seins anhand der
Verflechtung von Heideggers Gedankenwelt und eines Lebensereignisses wie die
Indienreise von Medard Boss.
Im vergangenen August war ich bei einer Kremation in Pashupatinah
zugegen. Ein sehr eindrückliches Erlebnis, das mich an die Indien-Reise von
Medard Boss und Heideggers „Sein zum Tode” erinnerte. Daseinsanalytiker zu werden
beinhaltet mehr als die entsprechende Ausbildung oder Wissen, nämlich eine
tiefgehende Erfahrung der Existentialia. Aus diesem Blickwinkel wollen wir zwei
Schlüsselbegriffe der Psychotherapie betrachten: Intimität und Offenheit.
Schlüsselworte :
Gefahr des
Gestells, Technologie und extreme Rationalisierung – Aufenthalt und das Geviert
– Aufruf zu denken, was gedenkt werden muss: die dreifache existentiale
Besorgnis um das „Sein - Seiende - Nichts” potentialisiert (verstärkt) durch Transzendenz – Daseinsanalysis: ein nie
endender Weg zu Aletheia als Unverborgenheit (Richtigkeit-correctness ó Übereinstimmung-agreement ó Entdecktheit-discovery ó Unverborgenheit-unconcealment ó Erschlossenheit-disclosedness ó Lichtung-clearing). Daseinsanalyse
und Dialog.
Vortrag :
„Zeitlichkeit und Psychotherapie” wird heute zur entscheidenden Frage.
Was in den dreissiger Jahren entstand, entwickelt sich immer noch weiter und
infiltriert still und leise unsere Glaubens- und Seinsformen. Was Husserl, Heidegger,
Arendt, Patočka in unserem Bewusstsein zu erwecken suchten, ist in
unserer Gesellschaft lebendiger denn je, gleichzeitig aber auch versteckter als
je zuvor durch die Kraft der Unterhaltung und die Illusion des Wohlbefindens
(Wellness).
In seinem letzten Buch: „Die Krise der europäischen Wissenschaft und die
transzendentale Phänomenologie“, 1935 geschrieben, beleuchtet Husserl die
wissenschaftlichen Exzesse, deren Positivismus und Objektivismus die Natur
mathematisieren – den Menschen mit eingeschlossen – um sie zu einem abstrakten „Objekt”
zu machen, das von universellen Gesetzen gesteuert wird, und das von der
sensiblen und individuellen Mannigfaltigkeit getrennt ist. Er kritisiert den
Abgrund, der die wissenschaftliche Forschung von einem metaphysischen Ansatz
trennt, was auch die Krise der menschlichen Werte mit einschliesst. Er war auch
imstande, die Katastrophe des deutschen politischen Anspruchs vorauszusehen,
der – in den Worten von Hannah Arendt – „einen Abgrund öffnen würde. Dort
geschah etwas, mit dem wir uns nicht versöhnen können.”
Heidegger hört nie auf, uns vor der dauernd fortschreitenden Technik zu
warnen, die in all unser Tun hineingreift, wobei er dachte, dies sei eine
derart alles durchdringende Haltung, dass der Mensch die „Einschliessung“ im
Gestell, die Gefahr des Bereichs berechenbarer und manipulierbarer Wesenheiten,
die uns vom Wesentlichen entfernen, nicht einmal mehr spürt: „Das Dasein
existiert als ein Seiendes, dem es in seinem Sein um dieses selbst geht.”
Bitte, verstehen Sie Heideggers Kritik nicht falsch. Es handelt sich dabei
nicht um eine Kritik eines besonderen Aspekts der Technik. Wonach er sucht, ist
der Gedanke, dass das Wesentliche der Technik zu verstehen ist als etwas, das
zum Hervorbringen gehört ..., als schicksalhaftes Offenlegen ... und das sich als Gestell offenbart.”
Die grösste Gefahr dieses Gestells ist, dass der Mensch selbst, insofern als
alles in das Gestell der Wissenschaft eingefügt wird, zu einem Teil des Puzzles
wird und „als Bestandteil, als verfügbares Hilfsmittel oder Ausführender dazu
gehört.”
Die Gefahr dabei ist, dass unsere Art des Mitseins mit der Natur als Herr und
Herrscher gesehen wird, wobei die Natur als „stehende Reserve“ gesehen wird,
und so wie wir die Technik anwenden und missbrauchen und die Erde verarmen
lassen, blockiert dies andere Weisen des Erschliessens, und verschliesst uns so
den Zugang zu allem anderen, was die Dinge auch sind, den Zugang zu uns selbst,
wodurch wir mit unserem eigenen, ureigensten Wesen in eine falsche Beziehung
treten.
In Anlehnung an Heidegger unterstreicht Patočka
dass die Wissenschaft als Bereich der Rationalität unser Verständnis der Welt
beeinflusst, die wir als eine Ansammlung von Dingen sehen, und wir glauben,
einen Ausweg aus der Krise zu finden, indem wir „immer neue Technologien
entwickeln”. Die Wurzel des Übels ist nicht gesellschaftlicher oder politischer,
sondern zivilisatorischer Art. Unsere Zivilisation schafft die wesentliche
Verbindung zum Sein, zur Transzendenz ab, wodurch die Seele des Menschen in
Gefahr gerät, die Seele, die vom Philosophen als ethisches Prinzip, als Sorge
um die Welt und die Wahrheit verstanden wird. Patočka nennt dies eine
Superzivilisation, die zur „Objektivierung, Automatisierung und
Rationalisierung der Gesellschaft“ führt, denn dieser Durchbruch ereignete sich
zum ersten Mal im Westen und breitete sich dann über die ganze Welt aus. Keine
Alternative mehr. Was die Welt bewegt, ist ein zunehmender Wille zur Macht, des
Beherrschens, der
Ausbeutung der Natur, der alle Seienden in Ware verwandelt und den
Menschen in einen Sklaven des Konsums.
Unsere Einstellung den Dingen gegenüber kehrte das frühere Gefühl der
offenen „Gänze“ vollständig um und transzendiert die Teile zu etwas Neuem, was
vom tschechischen Denker als ein reines Nebeneinander von Teilen gesehen wird,
das geschlossen ist und die Offenheit ausschliesst.
Mehr den je bestimmen materielle Bedingungen unser Wohlbefinden und
werden zum Kern der Besorgnis unserer Gesellschaft während spirituelle
Überlegungen über das Sein oder Infragestellungen des Seins in die persönliche
Sphäre verwiesen werden oder sie werden, noch radikaler, gesehen als „reine
Ausflüchte, die man irgendwie braucht, aber mit denen man sich nicht allzu
intensiv befassen sollte, denn das wäre Philosophie”.
Wie können wir uns die Zukunft der Daseinsanalyse in dieser Zeit der
Verwüstung vorstellen?
Daseinsanalyse ist nicht nur eine Therapieform unter anderen. Sie
verlangt von uns, genauso wie von den Pionieren – Binswanger, Boss, Condrau – ein
eigenartiges Gefühl, dass uns etwas fehlt, dass das, was wir gelernt haben,
dieses vielversprechende wissenschaftliche System von Ursachen und
Instrumenten, uns in die Irre führt und allzu oft hilflos erscheint in Bezug
auf psychische Störungen und menschliches Leid. Nicht nur der Patient, sondern
auch wir Therapeuten warten auf etwas ... das noch nicht fassbar ist. Binswanger
fand es in der Lektüre von „Sein und Zeit“. Boss war über vierzig Jahre alt,
als er Heidegger entdeckte und in seinen Fünfzigern, als er in einer anderen
Kultur – Indien – „wohnte“ und er erinnert sich, angeregt durch die Antwort
eines Astronomen, wie Jung und Freud Heraklits These der Identität der
Gegensätze folgten. Er ging nach Indien, weil „es für ihn wichtig war, die
geistigen Grundlagen der Psychologie und der Medizin zu stärken und seine
Kenntnisse des Menschen auszuloten und zu stärken. Es war für ihn entscheidend
wichtig, bessere und richtigere Ideen darüber zu entdecken, was der Mensch von
Natur aus und was seine Bestimmung ist. Keine Medizin, und noch weniger eine
Seelenmedizin, kommt ohne Philosophie aus.”
Seit Plato und Aristoteles hat das Prinzip des Nicht-Widerspruchs unser
westliches Denken verarmt. Wir werden immer mehr umnachtet durch die
Vorherrschaft des abgedroschenen Logos, logoV - Verstand hin zu einem kitschigen muqoV.
Kein Raum mehr für Fantasie, Kreativität, Offenheit in
der Forschung. Alles muss in einem wissenschaftlichen Rahmen validiert und als
ein ins statistische Verständnis eingebettetes Objekt reifiziert (vergegenständlicht) werden. Unsere Fähigkeit, Seienden
gegenüber offen zu sein durch „den Sprung ins Sein“
wird unvermeidlich abgestumpft. Wir haben die echte Beziehung zum Wesen der
Wissenschaft verloren, die im Fragwürdigen verbleiben muss. Im Fragen liegt der
stürmische Fortschritt, der ‚Ja‘ sagt zu dem, was noch nicht gemeistert wird
und der sich weitet, hinaus in denkwürdige, noch unerforschte Bereiche.
Was hier herrscht, ist etwas, das sich selbst übertrifft, hinaus in
etwas über uns.” Denn
die Wissenschaft lässt sich nicht von der Philosophie trennen; beide müssen
erneut die Frage nach der Dinglichkeit stellen. Wenn das Ding, über das wir
nachdenken wollen, der Mensch ist – was die Psychotherapie verlangt – dann
erfordert unsere Position mehr denn je, dass wir in Demut „bei dem
Erscheinenden verweilen“.
Wohnen, verweilen, gehört zum Wesentlichen der Psychotherapie. Doch was
bedeutet wohnen? „Zu wohnen, zufrieden zu sein bedeutet innerhalb des Freien,
des Bewahrten, des freien Raumes, der jedes Ding im Wesen bewahrt, in Frieden
zu verweilen.” Durch
das Wohnen, das da-sein, offen stehen für Offenheit impliziert, stimmt sich der
Mensch auf seine eigene Entfaltung-Erschliessung ein und durch dieses
„als-Mensch-in-der-Welt-sein“ verbleibt er im Geviert, oder besser noch, gemäss
Heidegger: „Eins der vier.“ Es ist nicht leicht zu verstehen, was zu überdenken
uns Heidegger einlädt und es ausserdem als entscheidende Frage für einen
Therapeuten zu begreifen. Tatsächlich wird sich der Mensch durch das Wohnen,
durch die gegenseitige Resonanz bewusst, dass er als Sterblicher auf dieser
Erde lebt, doch gleichzeitig auch unter dem Himmel, dem Reich des Göttlichen.
Über das Prinzip des Nicht-Widersprüchlichen hinaus, indem wir den östlichen
Gedanken der Harmonisierung ausdehnen, indem wir in der Welt wohnen, werden wir
zum Garanten dieser grundlegenden Spannung zwischen Himmel und Erde,
Sterblichen und Göttern, aus der ein „Zwischen“ hervorgeht, die authentischen
Aufenthaltsorte der Menschen.
Dies scheint uns allen sehr theoretisch, an der Grenze des
Verständlichen, doch es scheint offensichtlich, wenn man es erleben kann, so
wie Boss auf seiner Indienreise.
Es war auf dem Weg … als Mitreisender, dass Boss wirklich einem
indischen Meister begegnen konnte. Er schloss sich ihm an auf der Strasse zum
Kloster Durga, der Göttin der Zerstörung, auf dem Lande, wo er ein paar Tage
mit ihm wohnte. „Wenn jemand wirklich seinen Mitmenschen helfen will, sich
wirklich um sie sorgt, so muss er zuerst darüber nachdenken, was ein Mensch in
seinem eigentlichen Wesen ist, wie er ist und weshalb er existiert. ”
Er wohnt auch in einer Höhle in der Nähe/Ferne eines Einsiedlers. All diese
Erfahrungen erschliessen Zeit und Raum, so dass sie zum eigentlichen orismoV, dem Horizont werden, wo der Mensch zum Menschen wird,
Da-sein.

Im vergangenen August brachte ich einen 22-jährigen Patienten, einen
Studenten, nach Nepal ind er Hoffnung, ein kultureller Durchbruch könnte seinen
Geist öffnen. Das Ergebnis überstieg meine wildesten Träume. Eines Tages
besuchten wir den Hindutempel von Pashupatinah, ein unglaublicher Ort zwischen
Himmel und Erde, Sterblichen und Göttern.
Am Ufer lag ein Leichnam, in ein Leichentuch gewickelt, barfuss, auf dem
Rücken. Während fünfundvierzig Minuten konnten wir an einem der intimsten
Rituale teilnehmen, bei dem ein Leib zu Asche wurde, ein erstaunlicher
Augenblick, bei dem ich das „Sein-zum-Tode“, meine eigene Endlichkeit höchst
intensiv erlebte. “ Der Verstorbene,
im Unterschied zum Gestorbenen, ist
von den Hinterbliebenen weggerissen worden und ist das Objekt ihrer „Sorge“ bei
den Begräbnisritualen. ... In diesem Mit-dem-Toten-sein ist der Verstorbene
nicht mehr tatsächlich anwesend. Doch wenn wir von „Mitsein“ sprechen, stellen
wir uns immer ein Miteinander-in-der-gleichen-Welt-sein vor.”
Ja, tatsächlich. Obschon wir Fremde, Ausländer waren, konnten wir irgendwie die
„Stimmung” teilen, so dass die
Erschlossenheit geschieht … „Die Erschlossenheit des Seins kontrastiert mit der
Entdeckung der Seienden.”

In Nepal mussten wir dem Toten
in seiner Einfachheit entgegentreten. Während der ganzen Dauer der Rituale
herrschte ein alles durchdringendes Gefühl der „Vergangenheit”, des Vergangenseins, und ein seltsames Gefühl des
Zusammengehörens und der Gewesenheit,
des Gewesenseins, vergangenen Lebens. Irgendwie erleben wir das „Geviert”, die gegenseitige Resonanz der
Erde, des Himmels, der Sterblichen und der Göttlichen, ein Zusammenfinden wie
in einer „Fuge”, die Anwesenheiten
und Abwesenheiten in einer Bewegung, einem Sonatensatz zusammenfügt, ein
Ereignis, das „die Beziehungen der Götter mit den Menschen zusammenfügt und die
Beziehung zum Heiligen schafft.”
Mit Sicherheit ruft uns dieses unerwartete Erlebnis
– wie viele Dinge – auf, „darüber nachzudenken, uns ihm im Denken zuzuwenden:
es zu denken.”
Was soll gedacht werden? Gerade das, was weniger gedacht wird, die
Verflechtungen von Seienden mit dem Sein. Das Sein selbst als das aneignende
Ereignis und dass „Dasein als Seiendes existiert für das in seinem Sein das
Sein selbst ein Thema ist,“ und dass dieses Thema einer der Ecksteine der
Daseinsanalyse ist. Denn es muss geleibt werden. Was soll gedacht werden? Das
Denken selbst! Echtes Denken ist kontemplativ; es lässt die Dinge sein und
sucht nicht danach, was wir mit ihnen tun können, wie wir sie willentlich
benutzen können. Was soll gedacht werden? Die unvermeidliche Gegenwart des
Nichts. Wie Aristoteles es für das Sein gezeigt hat, müssen wir uns um die
verschiedenen Bedeutungen und Ebenen des „Nichts“ sorgen.
“Da-sein bedeutet: ins Nichts
hinaus gehalten werden … Indem es sich selbst hinaus ins Nichts hält, ist Dasein je bereits jenseits der Seienden
als Ganzes. Dieses jenseits-der-Seienden-sein nennen wir Transzendenz.”
„Da” könnte dieses „Zwischen“
bezeichnen, das gespannt ist durch das grundlegende Zusammenspiel von „Sein“ –
„Seiende“ – „Nichts-Nihilisierung“, potentialisiert durch Transzendenz, was
nicht mit Nihilismus verwechselt werden darf. Es verursacht ziemliche
Angstzustände, in diesem „Zwischen“ zu wohnen; in den meisten Fällen entflieht
der Mensch in die normalen Formen des Alltagslebens, was Heidegger die
„Verfallung“ nennt, er verfällt. Es ist noch viel beängstigender, dass der
Mensch unter einem Mangel an Transzendenz leidet, dem Gefühl, im Stande zu
sein, über die Faktizität (feststellbare Wirklichkeit) hinaus zu gehen, wie
hart auch immer die Gegebenheit sein mag.
So lange man sich diesem Nachdenken verweigert, zieht man sich zurück –
die jeweilige Wahrnehmung der Welt – von
der „Unverborgenheit“ die in jeder „Wahrheits“-bestimmung vorausgesetzt wird.
„Nur dort, wo Unverborgenheit bereits vorherrscht, kann etwas aussprechbar,
sichtbar, zeigbar, wahrnehmbar werden.”
Wir können unser In-der-Welt-sein nicht „verstehen“, wenn wir nicht auf diese
dreifache „Offenheit“ als alhqeia eingestimmt sind. Die erste ist die Unverdecktheit, die Entdecktheit der Seienden. Wir können
ein Seiendes sehen, verstehen, brauchen, weil es unverborgen ist. Das ist ein
ontisches Manifestieren ... das gemäss einem stimmungsmässigen und instinktiven
Sich-selbst-finden mitten unter Seienden geschieht.”
Dieses alltägliche sich befassen mit innerweltlichen Seienden ist die primäre,
und oft die einzige, Methode, die Welt zu ent-decken. Der weitere Schritt ist
die Unverborgenheit des Seins. Tatsächlich gründet die ontische Wahrheit in der
ontologischen. Die Unverborgenheit des Seins impliziert die Erschlossenheit des
Daseins, das sich gemäss Heidegger durch Befindlichkeit, Verstehen und Rede
konstituiert, und gleichursprünglich zur Welt gehört, zum In-sein, und zum
Selbst.” So
lange wir ein Seiendes in dem einrahmen, wozu es nützlich sein oder in unsere
eigene Perspektive passen könnte, öffnen wir uns nicht für das Wesentliche
dieses Seienden, das sich auf das Sein dieses Seienden und das Sein an sich
bezieht. Die Erschlossenheit des Seins besteht darin, dass wir der Welt
gegenüber auf bestimmte Weise befindlich sind. Von „Sein und Zeit ” bis „Der
Ursprung des Kunstwerkes” überdenkt Heidegger den Raum, so dass das
Werkzeug nicht mehr nur ein nützlicher Gegenstand ist. Dienlichkeit und
Nützlichkeit sind jetzt in einen grösseren Kontext der Verläßlichkeit eingebracht (was die reine Dienlichkeit übertrifft,
indem es zu einer Beziehung zum Unbekannten tendiert). Heidegger nennt diese
neue Perspektive in der Welt „Erde”, der Schlüssel zu einem Strahlendenken,
eine exzessive und grundlose Phänomenalität, ein Erscheinen, das nicht mehr an
eine Trägersubstanz gebunden ist.
Es ist Zeit, zum dritten Sichentfalten zu springen,
zur grundlegendsten und enigmatischen – ja sogar esoterischen – Form der
Unverborgenheit, die durch die „Lichtung”
gewährt wird.
Es wäre grossartig, wenn ich Ihnen den ganzen Text des „Welche Aufgabe
dem Denken am Ende der Philosophie vorbehalten bleibt“ vorlesen könnte – einer
der schwierigsten, grundlegendsten Texte
Heideggers, ein
Text, der als gemeinsamer Pfad zum Denken verstanden wird. Es könnte ja
wesentlich sein, Zeit für die „Gelassenheit”
zu öffnen, „Dinge sein zu lassen”, „Gleichmut den Dingen gegenüber”, „Offenheit
dem Mysterium gegenüber“, das in der technischen Welt verborgen ist; Zeit, sich
von der Vorherrschaft rechnerischen Denkens loszureissen. Ist es möglich, der
Lichtung ohne Selbsterschlossenheit näher zu kommen?
Der Heideggersche Weg bleibt ein Pfad des „Seins“ und des „Denkens“, der
jeden Horizont der Verständlichkeit aufgräbt. Was vorgebracht werden muss, ist
der „Ort“ wo der Gedanke „Sein“ denken kann, ein Übergang vom spekulativen
Denken zum Weg des Denkens. Dieser Ort ist kein geographischer Ort und wird
gelebt als „Offenheit, die Mögliches erscheinen lässt und „Lichtung“ zeigt, ein
„freier Raum, eine freie Lichtung, was das Denken als Urphänomen ist, als prima
mater (Ursache).”
Lichtung hat nichts mit Licht zu tun, obschon „Licht in die
Lichtung, in deren Offenheit strömen kann und die Helligkeit mit der Dunkelheit
darin spielen lässt … Licht schafft nie zuerst die Lichtung. Doch dieser offene
Bereich ist frei für Helligkeit und Dunkelheit, für Resonanz und Echo, für
Klang und verhallenden Klang.”
Könnten wir vielleicht behaupten, dass dieser Ort zur Meditation, dem
meditativen Menschen gehört? Ein Ort als Im-Zwischen, wo Unverborgenheit
möglich wird, „ein Ort der Stille, der in sich selbst sammelt, was zuerst
Unverborgenheit beschert ... Das stille Herz der Lichtung ist der Ort der
Stille aus dem alleine sich die Möglichkeit des Zusammengehörens von Sein und
Denken ergibt, das heisst, es überhaupt zu Gegenwart und Erfassen kommen kann.”
Was ich damit untermauern möchte, ist, dass der Heideggersche Weg des
Denkens über „Sein und Zeit“ hinaus die Grundlagen des Menschseins derart tief
ergründet, dass der eingeweihte Therapeut eine gewandelte Perspektive erlebt,
die sein Verständnis der Psychotherapie oder Medizin grundlegend verändert. Um Daseinsanalytiker zu werden, ist nicht
nur eine neue Ausbildung erforderlich, die einem neue Instrumente oder Konzepte
vermittelt, sondern auch eine neue Grundlage für den allgemeinen Hintergrund
(Medizin, Psychologie, ...). Wenn Medard Boss schreibt: „In Heideggers Daseinsanalytik bezieht sich das Wohnen auf die menschliche
Existenz als Wohnen-in-der-Welt, was etwas ganz anderes ist als eine materielle
Anwesenheit. Es ist vielmehr des Menschen ek-statisches Verweilen, sein
Existieren in der Offenheit eines gelichteten irdischen Bereichs.”,
es ist mehr als ein Anspruch; der Mensch teilt einen der Schritte, der ihn dazu
bringt zu verstehen, dass jede organische Krankheit das In-der-Welt-sein des
Patienten schwächen kann, oder dass „die traditionellen somato- und
psychopathologischen Erklärungen keinen Zugang zur menschlichen Existenz als
Bereich der Welt-Offenheit erhalten können.”
Die Begegnung mit Heidegger oder seine Indienreise verändern das Leben
von Medard Boss, seine Denk- und Arbeitsweise und sein Verständnis. Jene
existentiellen Ereignisse sind entscheidend wichtig für die Menschen, die durch
die Daseinsanalyse leiben wollen.
Was ich entfalten möchte, ist dass die Daseinsanalyse als Psychotherapie
bedeutet, dass man das Leben erfährt, dass man denkt, dass man auf einem nie
endenden Weg zur alhqeia als Unverborgenheit geht, was eine Verflechtung von Jemeinigkeit
und Miteinandersein bedeutet, von Stille
und Gesprächen, von einer Konstitution des Sinns und epoch, von Licht und Dunkelheit. Man kann es nicht als irgend einer tun, ein „Bossianer“ oder Binswangerianer
werden; es gibt keine Methode, es zu tun. Jeder Daseinsanalytiker eröffnet
einen einzigartigen, dynamischen und historischen Therapiehorizont wo eine
„Begegnung“ möglich ist. Heute, 35 Jahre nach meiner ersten Lektüre von Sein und Zeit, stellt meine Praxis jenes grundlegende, existentielle
Wechselspiel der Menschheit von „Sein“ – „Seienden“ – „Nichts-Nihilation“ potentialisiert durch Transzendenz in Frage.
Transzendenz ist unsere Fähigkeit, über das, was uns gegeben wird hinaus zu
gehen, als Substantialiät, die uns von dem, was wir sind, entfernt,
insbesondere dem, das wir nicht sind zu dem, was wir sein müssen. Die
Transzendenz reisst uns aus dem Alltagsleben weg, um uns ins Unbekannte zu
werfen, ins „Wo“ der Ermöglichung. Durch
die Transzendenz, die eine Resonanz mit dem Geviert
beinhaltet, harmonisiert das Da-sein diese dreifache, unvermeidbare Sorge. In
Französisch nenne ich diesen offenen Lebensstil „l’entre-trois existential” was
sich nicht ins Englische übersetzen lässt (Deutsch vielleicht: „das existentiale
zwischen dreien“). Ein Verlust des Gleichgewichts schliesst den Menschen in
einem von den dreien ein, wodurch Leiden entsteht und eine veränderte Beziehung
unseres In-der-Welt-seins. Zum Beispiel: Käuflichkeit (Seiende), Mystik (Sein)
oder Nihilismus, Depression (Nichts-Nihilierung). Heute verstehe ich die
Daseinsanalyse als einen Ort, einen freien Raum, wo der Patient durch eine
Begegnung und einen echten Dialog,
diese dreifache Sorge, sein Leben ins Gleichgewicht bringen kann. Durch die
richtige Frage, die erschliesst, offenlegt, kommt der Dialog von selbst in
Gang, er gewinnt Autonomie. Das Gespräch ist eine Art des Mit-seins, des
Miteinander-seins, die vollständig anders ist, als der Dialog, der durch reine
Kommunikation erstellt wird. Das Fragen zielt auf keine Information ab. Statt dessen stellt die Frage den Befragten selbst in Frage.
Der Fragende und der Befragte gehört zu einer Gemeinsamkeit aus der heraus die
Frage gestellt wird. Dieses innerste intime Wechselspiel von Fragen und
Antworten erfordert Stille, Offenheit, Zuhören, Verständnis, Gestimmtheit. Der
Dialog ist der Zeuge des Miteinander-seins, er nimmt teil an der Erschlossenheit des Da-seins, Erschlossenheit,
„die der ontologische Terminus ist für das Gelichtet- und Geklärtsein des
Daseins in sich selbst ... eine grundlegende Offenheit.”
Die Wirkung von Heideggers Denken auf die Psychotherapie – jedenfalls
für jene, die sich in die Gedanken des Philosophen vertiefen – ist derart
abgründig, dass ein Leben nicht ausreicht, dessen Reichtum zu erforschen. In
dieser Zeit des Zerfalls und der Verzweiflung ist Heideggers Weg nötiger denn
je, und dies umso mehr als unsere Zeit die Frage des Seins nicht mehr stellt
und die Menschheit in den Illusionen der Seienden ohne jedes Gleichgewicht lässt.
Wir müssen beide Seiten des modernen Denkens betrachten – auf der einen
Seite die konkrete, affektive Seite des empfundenen Erlebens, eine prälogische,
präkonzeptuelle Erfahrung, und andererseits die andere: Pragmatismus,
Positivismus, logische und empirische Anforderungen der Wissenschaft und des
Sinns – ohne sie notwendigerweise als Gegensätze einander gegenüber zu stellen,
sondern zu versuchen, sie zu harmonisieren, um eine Art von „transzendentalem
Gedritt-Zwischen“ hervorzubringen.
Es war der Zweck dieses Vortrags, die Tiefe der Wirkung von Heideggers
Denken zu entfalten, und auf dem Weg kann der Therapeut den Kern, das
Wesentliche seiner Praxis verstehen. Da-sein als In-der-Welt-sein lässt sich
nicht auf ein Konzept, eine Formel oder einen Slogan reduzieren. Man muss
darüber nachdenken, was „Raum ”
bedeutet, man muss diesen Raum spüren, was einen Bereich öffnet, um Leiber
willkommen zu heissen,
spüren, dass eine Grenze ‚nicht nur Umriss und Rahmen ist, nicht nur das, womit
etwas aufhört. Grenze bedeutet, dass etwas in seine Eigenständigkeit gesammelt
wird, um aus sich heraus in seiner Fülle herauszutreten, um in die Anwesenheit
hervorzutreten. Die Grenze gibt das Ding endlos an die Welt.”
Wenn man die „Grenze“ als „Ende“ versteht, eröffnet man nicht die gleichen
Möglichkeiten wie wenn man sie als Beginn versteht. Durch diese „enigmatische
Beziehung treten wir ein in die Welt, in den Raum, die Erde, ein Bildwerk, dass
man fühlt, dass etwas als Nahesein
oder Intimität geschieht, trotz des „anders-seins“, etwas wie „Leiblichkeit”, Leiblichkeit trotz
Anwesenheit von Körpern, etwas wie „eine Begegnung“, trotz der Notwendigkeit
einer Diagnose und herkömmlicher Behandlungm die statistische Ergebnisse
hervorbringen.
Auf dem Weg mit Heidegger erwarten wir nicht, dass jeder Therapeut ein
Philosoph wird, doch sollte er zumindest versuchen, über seine
wissenschaftliche Ausbildung nachzudenken, damit er „die technische Konstruktion
des Menschen als Maschine“ entwirren (enträtseln) kann.”
|
|